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Gekonnt gekuppelt

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Gekonnt gekuppelt

Das Dorfgemeinschaftshaus von Hünstetten-Oberlibbach besteht aus mehreren Gebäudeteilen. Der zentrale Saal liegt unter einem Kuppeldach aus BS-Holz-Bogenbindern. Sie zu verbinden war eine der größeren Herausforderungen des Projekts.

Eine von zehn Ortschaften, die zur Gemeinde Hünstetten gehören, ist Oberlibbach. An seinem Ortsrand stand lange Zeit ein Gebäude aus den 70er Jahren: Das Dorfgemeinschaftshaus. Im Jahr 2001 hat die Gemeinde begonnen, im Zuge der Dorferneuerung des Landes Hessen nach und nach alle ihre Gemeinschaftshäuser zu renovieren und auf den neusten energetischen Stand zu bringen. Wo eine Instandsetzung nicht mehr sinnvoll erschien, wurde der Bestand abgerissen und neu gebaut. So auch in Oberlibbach.

Ein Entwurf mit Kuppeldach gewinnt
Für den Neubau wurde ein kleiner eingeladener Wettbewerb ausgelobt. Gewonnen hat ihn das Architekturbüro Peichl Project aus Fulda mit einem Entwurf, der den organisch geformten Neubau als Solitär zwischen Dorfrand und Landschaft einfügte. Das zentrale Element bildet ein großzügiges Foyer zusammen mit dem großen Saal, die von einer Kuppel aus Brettschichtholz-Bogenbindern überdacht werden. Die übrigen (Funktions)Räume gruppieren sich radial um diese herum. „C + P Schlüsselfertiges Bauen“ aus Angelburg hat das Projekt als Generalunternehmer übernommen und das Gebäude als Massivbau aus Mauerwerk, Stahl und Stahlbeton ausgeführt. Für die Dachkonstruktion der Kuppel beauftragte es das Holzbauunternehmen W. u. J. Derix, denn aufgrund der organischen Geometrie des Gebäudes und der guten Formbarkeit von Holz fiel die Entscheidung für die Ausführung des Kuppeldachs auf ein Tragwerk aus Holzleimbindern. Die Traufe der Kuppel springt im Eingangs- und auf der gegenüberliegenden Seite zurück. Hier geben lange Fensterfronten den Blick in die Natur frei und sorgen innen für viel Tageslicht. Im Übrigen ist die Kuppel bis auf 2 m über Gelände heruntergezogen bzw. ändert ihre Höhe wie eine Spirallinie.

Zentrale Lösung für zentralen Knotenpunkt
Die 18 Bogenbinder spannen von den Mauerwerkswänden bzw. Stahlstützen bis zum Knotenpunkt im Stich der Kuppel. Sie haben mit einem b/h von 14 cm x 62 cm alle die gleichen Querschnittsabmessungen und mit einem Radius von 30 m alle die gleiche Ausrundung. Sie sind lediglich unterschiedlich abgelängt, was zu der gewünschten Trauflinie führt. Die Bogenspannweiten reichen von etwa 10,80 m bis 18,80 m. Die Binder sind über einen Stahlknoten verbunden: Ein polygonförmiger Stahlrohrabschnitt schließt sie über spezielle Verbinder zusammen. Doch bis zur Entwicklung dieses Knotens brauchte es einiges an firmeninternem „Forschungsaufwand“ des norddeutschen Holzbauunternehmens, das auch für die Werk(statt)planung der Kuppel verantwortlich war. An diesem Stahlknoten kumulierten die Fragen nach einer machbaren und möglichst einfachen Bindermontage sowie einem normenkonformen Anschluss. Der verantwortliche Konstrukteur WilhelmDerix entwickelte auf Basis der Pläne des Architekten die hölzerne Kuppelkonstruktion. Daraus entstand dann die Detailplanung, die festlegte, wie und mit welchen Verbindungsmitteln die einzelnen Träger angeschlossen und montiert werden – immer auch mit Blick auf die maschinentechnischen Möglichkeiten des Abbunds der Querschnitte. Verschiedene Knotenlösungen wurden erarbeitet, wie zunächst eine mit dem erwähnten Stahlrohrabschnitt in Kombination mit konventionellen Anschlüssen aus Stabdübeln und eingeschlitzten Blechen. Aufgrund von Nachteilen bei der Montage wurde diese Variante zugunsten der neu entwickelten Knotenlösung mit Knapp-Verbindern verworfen. Die Praktikabilität dieser Lösung testete Derix dann direkt am Modell. Der Verbindungsmittelhersteller lieferte dazu ein Muster des „Ricon S“: Der Holzbauverbinder besteht aus zwei baugleichen feuerverzinkten Trägerplatten, die auf die zu verbindenden Bauteile geschraubt werden. Das heißt beim Knotenpunkt der Kuppel wurde die eine Trägerplatte des Verbinders auf das Polygon-Stahlrohr geschraubt, die andere auf die Stirnseite des Bogenbinders. Beim Einhängen greifen die herausstehenden zwei Halteschrauben des Ricon S in die gegenüberliegenden schwalbenschwanzförmigen Ausprägungen. Die beiden Schrauben mit spezieller Senkkopfform übertragen nach der Montage die Anschlusskraft in alle vier Achsen: in Einschubrichtung , mit Sperrklappe entgegen der Einschubrichtung sowie rechtwinklig dazu und auch auf Zug. Das Verbinden der Bauteile funktioniertsehr komfortabel, weil die schwalbenschwanzförmigen Ausprägungen der Trägerplatten beim Einhängen dafür sorgen, dass die Halteschrauben sicher in die endgültige Position gleiten. Dabei richten sich die Bauteile automatisch flächenbündig aus.

Der Ricon S – die passende und tragfähige Lösung
Auf Basis der vorhandenen Statik und mit Hilfe der Techniker von Knapp erstellte Derix nun eine alternative Detailplanung. Die sah wegen der Trägerhöhe von 62 cm zunächst vor, als Kippsicherung zwei Ricon S-Verbinder übereinander in die Stirnseiten der Bogenbinder einzubauen. Durch einen näheren statischen Nachweis hat sich aber ergeben, dass ein Verbinder pro Binderkopf ausreichte – sowohl zur Aufnahme der Kräfte als auch zur Kippsicherung. Damit war eine platzsparende, tragfähige und gut zu handhabende Alternative gefunden wie sie ein Anschluss aus Stabdübeln und eingeschlitzten Blechen nicht hätte bieten können. Mit wenigen Ausnahmen wurde für die Anschlüsse der Dachkonstruktion zwei Verbindertypen verwendet: Ricon S 290/80 und 230/80. Für den Anschluss der Querträger bzw. Pfetten zwischen den Bögen (Haupt-Nebenträger-Anschluss), der Auswechslungen und des Aufsatzkranzes für das Oberlicht wurden ebenfalls Ricon S-Verbinder verwendet. Hier konnten sie, anders als im Firstknoten, standardmäßig in die Träger eingelassen werden, so dass sie nach der Montage nicht mehr sichtbar und als fugendichter Anschluss im Brandfall vor Feuer geschützt sind. Gleichzeitig ergibt sich ein perfektes Erscheinungsbild.

Herausforderung 3D-Modell für den CNC-Abbund
Im nächsten Schritt musste der Konstrukteur die Geometrie des Dachtragwerks als passgenaues 1:1 Modell für den CNC-Abbund ins 3D-CAD einarbeiten. Damit die abgebundenen Bauteile samt eingebauter Verbinder später auf der Baustelle form- und kraftschlüssig zusammenpassen, waren dabei auch die exakte Lage der Ausfräsungen für die Verbinder und der Sacklochbohrungen für die Senkschraube mit Sechskantmutter, die die Halteschrauben des Ricon S auf der Rückseite der Trägerplatte sichern, ins 3D-Modell einzuzeichnen. Für die werkseitige Montage der Verbinder auf die Bögen hatten die Planer im Hinblick auf die gegengleichen Trägerplatten außerdem genau anzugeben, in welche Richtung die jeweiligen Verbinderhälften in die Ausfräsungen eingeschraubt werden müssen.
Hilfreich fanden die Monteure außerdem die paketweise Portionierung der Verbindertypen und ihrer dazugehörigen Schrauben. So konnte es keine Verwechslungen geben, was zu einem kontinuierlichen Montageablauf beitrug.

Montageplan für jeden Bogenbinder
Zu guter Letzt erstellte Derix für jeden Bogenbinder einen Montageplan mit Maßangaben der jeweiligen Bauteilschwerpunkte, die aufgrund der unterschiedlichen Binderlängen variierten, und den Maßen der Anschlagpunkte der Kranseile auf den Bindern. Das war nötig, um die Bögen so an den Kran zu hängen, dass die Binderstirnseiten beim Einheben vertikal ausgerichtet sind. Auf diese Weise können die Trägerplatten des Ricon S bei der Montage ohne Verkanten in die Trägerplatten des Stahlknotens gleiten – paralleles und gleichmäßiges Ablassen des Binders am Kran vorausgesetzt. Der Generalunternehmer achtete auf eine reibungslose Montage, die Derix mit den detaillierten Montageplänen sicherstellte. Am Ende dankten es den Planern auch die Monteure, indem sie die hölzerne Kuppelkonstruktion wesentlich schneller fertigstellten als kalkuliert. Und das, obwohl sie das erste Mal mit Knapp-Verbindern arbeiteten. Mit Hilfe der Einzelzeichnungen konnten der Kranfahrer und die beiden Monteure die Bogenbinder am Kran perfekt ausrichten: Mit einem Kettenzug auf der einen und einem festen Gehänge auf der anderen Seite ließen sich die erforderlichen Längen einfach einstellen.

Kooperation brachte die richtige Lösung
Die Kooperation zwischen Derix und Knapp zur Nachweisführung der Details und Verbinder der Holzkuppel war auch für den Statiker, der die Tragwerksplanung des gesamten Gebäudes zu verantworten hatte, eine wichtige Zuarbeit. Sie trug wesentlich dazu bei, dass die Kuppel als markantes Gebäudemerkmal des Dorfgemeinschaftshauses eine runde Sache geworden ist.

Autorin: Susanne Jacob-Freitag

Weitere Informationen:

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