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Integrale Tages- und Kunstlichtplanung für den Landtag Baden-Württemberg

Behörde/Büro | Stuttgart | Licht Kunst Licht
Modernisierte Moderne

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Für die Generalsanierung des Gebäudes des Landtags Baden-Württemberg in Stuttgart galt es, zwei auf den ersten Blick schwer vereinbare Ziele zu verwirklichen: Einerseits musste die Denkmaleigenschaft des Baus unbedingt erhalten bleiben, andererseits sollte der vorher ausschließlich künstlich beleuchtete Plenarsaal für das Tageslicht geöffnet werden.

In enger Kooperation haben Staab Architekten und das Büro Licht Kunst Licht eine elegante Lösung entwickelt, die das äußere Erscheinungsbild des Gebäudekubus aus Glas und Bronze nicht verändert, aber natürliches Licht auch in sein Zentrum holt. In den übrigen Bereichen des Landtags zelebriert ein durchgehend LED-basiertes Beleuchtungskonzept den stilvollen Umgang mit der Nachkriegsmoderne.

Mutige Öffnung eines gefangenen Raumes

Das Haus des Landtags von Baden-Württemberg markiert in vielerlei Hinsicht einen Neubeginn. Unter anderem war es einer der ersten Parlamentsneubauten im europäischen Raum nach dem Zweiten Weltkrieg. Ebenso konnte die kompromisslos innovative Architektursprache des Stahlskelettbaus Anfang der 1960er-Jahre als Metapher für Aufbruch und ein neues Selbstverständnis der Politik gelesen werden. Mut zu Innovation hat der Landtag auch bei der jetzt erfolgten Generalsanierung des Baus bewiesen.

Im besten Sinne des Wortes deutlich sichtbar wird dies im Plenarsaal, dem Herzstück des Gebäudes.  Der vorher fensterlose und introvertierte Raum wurde an seiner Rückseite maßvoll geöffnet, was Ausblicke durch das Foyer hindurch in den Rosengarten freigibt. Spürbarer Eintrag natürlichen Lichts und direkter Außenbezug sind allerdings erst durch die partielle Öffnung des Daches möglich geworden. Dazu wurden 12 große kreisrunde Oberlichter mit einem Durchmesser von 2,60 Meter und 36 kleine mit einem Durchmesser von 0,80 Meter bündig in das Flachdach eingesetzt. Alle kleinen Oberlichter sind mit sogenannter Smart Glass-Technologie ausgestattet; mithilfe von elektrochromer Verglasung wird im Fall von übermäßigem Lichteinfall eine Lichtminderung und Reduzierung des Wärmeintrags erzielt.

Ausblicke in den Himmel über Stuttgart

Das natürliche Licht wird durch ein einzigartiges und innovatives Tageslichtsystem transportiert, ausgerichtet und anschließend über eine transluzente, satinierte Decke aus Kunststoffpaneelen in den Raum eingekoppelt. Dafür befinden sich direkt unterhalb der Oberlichter großformatige Kunststoffröhren, die bei den kleinen als kurze Zylinder und bei den großen Oberlichtern als lange, sich nach unten verjüngende Kegelstümpfe ausgeführt sind. Die Zylinder sind mit hochreflektiver Folie ausgekleidet. Sie enden etwa 50 cm unterhalb der Oberlichter und transportieren das Tageslicht gleichmäßig in den Deckenzwischenraum.

Im Gegensatz dazu reichen die großen, konischen Tageslichtöffnungen ganz hinab zur Lichtdecke, wo sie von klaren Scheiben abgeschlossen werden; diese wiederum sind als transparente Kreise in die satinierte Lichtdecke eingebettet. Die Wandung der Kegelstümpfe ist von der Innenseite mit einer glatten und leicht spiegelnden Oberfläche versehen, während der Außenseite durch ein spezielles Lackierungsverfahren ein opaler Charakter verliehen wurde und diese somit eine raue Haptik aufweist. Das heißt, sie transportieren einen Teil des Tageslichts nach unten in den Saal, während der andere Teil über die Oberfläche der Kegel austritt und so leuchtende Volumen im Deckenzwischenraum generiert, die der Decke Lebendigkeit und Tiefe verleihen.

Im Ergebnis gelangt das natürliche Licht als Mischung einer diffusen und direkten Komponente in den neuneckigen Plenarsaal. Die klaren Abschlussscheiben der Kegel setzen dabei markante Lichtschwerpunkte, aber sie bereichern den Raum auch in umgekehrte Richtung, denn sie erlauben direkte Ausblicke auf den Himmel über Stuttgart. Der Clou: Von jedem Sitzplatz aus ist die direkte und weitestgehend ungehinderte Sichtverbindung zum Himmel gewährleistet; das konisch zulaufende Detail der Lichtöffnungen verkürzt dabei optisch die Deckenstärke und scheint den Himmel an die Kante der Lichtdecke heranzuführen.

Natürliches und künstliches Licht – ein starkes Duo

Mit dem Tageslichtsystem lassen sich im Plenarsaal vitale Lichtstimmungen bei mittleren Beleuchtungsstärken zwischen 150 Lux an trüben und über 800 Lux an klaren, sonnigen Tagen generieren. Bedarfsgerecht kann jederzeit LED-Licht mit einstellbarer Farbtemperatur zwischen 2.700 Kelvin und 6.500 Kelvin das Tageslicht ergänzen bzw. in den Abendstunden allein die Regie übernehmen. Dafür wurden lineare LED-Leuchten wie Schaufeln einer Turbine ringförmig um die Tageslichttrichter und -zylinder angeordnet und um 30° in ihre Richtung angekippt. Durch diese Formation und Ausrichtung konnte ein Optimum aus Anstrahlung der Zylinder bzw. Kegel und Lichtdeckenhinterleuchtung erzielt werden.

Bei üblicher Nutzung betragen die horizontalen Beleuchtungsstärken im Plenarsaal 500 bis 600 Lux; bei Fernsehaufnahmen können sie auf über 1000 Lux erhöht werden. Alle Anforderungen an die Fernsehbeleuchtung, z. B. im Hinblick auf die Gleichmäßigkeit der Beleuchtung und auf das Flickerverhalten der Leuchtensysteme, sind erfüllt.

Sowohl die DALI-gesteuerten LED-Leuchten als auch die elektrochromen Glaskomponenten werden zentral gesteuert, wobei unterschiedliche vorprogrammierte Beleuchtungsszenarien intuitiv via Touch Panel abgerufen werden können.

Technische Updates für gute Ideen

Bis auf einen zusätzlichen Fahrstuhl in der Erschließungszone des Landtags und der Einrichtung eines Bürger- und Medienzentrums ist am Raumprogramm und der Verkehrsführung durch den Landtag substanziell nichts verändert worden. Dies war nicht nur angesichts der Auflagen des Denkmalschutzes geboten, sondern schlichtweg nicht nötig, denn mit seiner modernen Formensprache und frei fließenden Räumen hinter einer transparenten Fassade wirkt das Architekturkonzept auch nach mehr als 50 Jahren Nutzung erstaunlich zeitgemäß. Korrespondierend dazu fanden die Lichtplaner vom Büro Licht Kunst Licht in mehreren Nutzungsbereichen Bestandslösungen vor, deren atmosphärische Wirkung eher respektvolle Updates denn Veränderung nahelegte. Im Interesse von Energieeffizienz und Lichtqualität brachten sie in diesen Fällen die Technik auf den neuesten Stand, bewahrten aber den Charme der vorhandenen Lösung.

Ein gutes Beispiel für eine solche Situation ist die Wandelhalle, die das erste und zweite Obergeschoss überspannt. Mit ihrer Zoniertheit und Schlichtheit entfaltete die bestehende Lichtlösung hier soviel Charisma, dass sie übernommen wurde. So blieben die aus den umlaufenden Büros generierte Indirektbeleuchtung sowie die der Außenwand des Plenarsaals folgende Lichtvoute auch im neuen Konzept erhalten, allerdings wurden alle Lichtquellen auf LED-Technik umgerüstet und die Beleuchtungsstärken heutigen Vorgaben angepasst.

Vertikale Lichtflächen und Downlights im Foyer

Im Foyer wurde im Zuge der Neuplanungen das strenge Raster der Deckenleuchten beibehalten, aber symmetrisch auf die Säulen abgestimmt. Die vorher sehr präsenten Leuchten wurden gegen quadratische Decken-Einbauleuchten mit prismatischer Abdeckung ausgetauscht. Diese integrieren sich ruhig und unaufdringlich in das Deckenbild, generieren aber druckvolles und gerichtetes Licht. Der helle Boden reflektiert einen Teil des Lichtstroms an die Decke zurück. Dieser positive Nebeneffekt lässt den Raum offener und weiter erscheinen. Neben der optimierten Allgemeinbeleuchtung werden die beiden eingestellten Treppenhausblöcke mit umlaufendem LED-Licht so inszeniert, dass die Wände sowohl im Raum als auch in der Außenwahrnehmung des Gebäudes einen prominenten Auftritt haben.

Als weitere vertikale Fläche wird die Reliefwand vor dem Restaurant mit Licht inszeniert. Um die hier eingebetteten Fossilien aus der Jurazeit plastisch herauszuarbeiten, kommen kompakte, schwenkbare LED-Strahler zum Einsatz, welche die Wand mit präzise ausgerichtetem Licht bespielen.

Transparenz und grafisches Raster

Bei einer so konsequent transparenten Gebäudehülle wie am Landtag definiert die Innenraumbeleuchtung die Außenwahrnehmung des Gebäudes natürlich ganz wesentlich mit. So ist die räumliche Dramaturgie des Hauses auch bei Dunkelheit gut ablesbar: Die Bronzeverkleidung und die getönten Scheiben fassen die beiden Obergeschosse zu einem kraftvollen Kubus zusammen, der über dem zurückgesetzten, farblos verglasten Erdgeschoss zu schweben scheint. Die mit Licht inszenierten Wände der Treppenhausblöcke im Erdgeschoss und die Außenwand des Plenarsaals in den Obergeschossen betonen zusätzlich die von innen herausleuchtende Wirkung des Hauses.

Dem hellen Kern war schon in der Bestandslösung ein grafisches Lichtmuster überlagert, das die Tragstruktur des Hauses einblendet. Gezeichnet wurde es von Lichtbändern zwischen den Stürzen gleich hinter der Fassade, die zusätzlich für die Allgemeinbeleuchtung des Raumes sorgten. Im Zuge der Sanierung übernehmen die Lichtbänder nun ausschließlich die Aufgabe der repräsentativen Nachtwirkung. Dafür wurden die Lichtelemente intelligent hinter der Metallrasterdecke integriert. Auf diese Weise fällt mehr Licht auf die innenliegenden Laibungen, während die Lichtbänder selbst dezent im Hintergrund bleiben.

Ein Kulturdenkmal ist im Heute angekommen

Bauherrenwünsche, Denkmalschutzauflagen und die Integration moderner, effizienter Technik – die Erwartungen an die Generalsanierung des baden-württembergischen Landtags waren anspruchsvoll und sie sind auf hohem Niveau erfüllt worden. Die mutige Umsetzung der Tageslichtlösung, der Erhalt hochwertiger originaler Bausubstanz und eine energetische Ertüchtigung, die 40% Energieeinsparungen freisetzt, sind die lohnenden Ergebnisse des im veranschlagten Zeit- und Kostenrahmen umgesetzten Projekts.


Projekt: Generalsanierung und Umbau Haus des Landtags von Baden-Württemberg
Bauherr: Land Baden-Württemberg vertreten durch den Landesbetrieb Vermögen und Bau Baden-Württemberg
Architekt: Staab Architekten GmbH, Berlin
Lichtplanung: Licht Kunst Licht AG, www.lichtkunstlicht.com
Projekt- und Teamleitung: Benjamin Dorff & Maik Czarniak
Projektteam: Tanja Baum, Edwin Smida
Fertigstellung: 2016



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