Pionier der modernen Industriearchitektur
Zu den ersten Beispielen der architektonischen Moderne und zu den Vorläufern der Bauhausarchitektur zählt das Fagus-Werk im niedersächsischen Alfeld. Die in drei Bauabschnitten seit 1911 errichtete und seit Juni 2011 in die Liste der UNESCO-Weltkulturerbestätten aufgenommene Schuhleistenfabrik war das erste größere Projekt des damals noch weitgehend unbekannten Walter Gropius, dem später erfolgreichen Architekten und Leiter des Bauhauses bis 1927. Trotz mangelnder Referenzen war es dem damals erst 28 Jahre alten Architekten seinerzeit gelungen, den Fabrikanten Carl Benscheidt von seinen radikal neuen Ideen zu überzeugen.
Im Zentrum des funktionalistischen Industriekomplexes steht das dreigeschossige Werkstattgebäude mit seiner klaren kubischen Form und seiner minimalistischen Materialsprache mit Stahl, Glas und dunkelgelben Klinkern. Der Einsatz der seinerzeit noch radikal modernen Skelettbauweise bot Gropius und seinem Mitarbeiter Adolf Meyer dabei die Möglichkeit, die Außenhülle des schmalen Baukörpers mit geschossübergreifend durchgehenden, auf Deckenhöhe lediglich durch Stahlverkleidungen unterbrochenen Glasflächen mit einer Größe von jeweils 10 x 4,3 Metern auszubilden. Mit diesen frei ohne tragende Funktion vor die Stahlkonstruktion gesetzten Vorhangfassaden war es den Planern möglich, in sämtlichen Bereichen eine helle und luftige Arbeitsatmosphäre für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fabrik zu schaffen und damit eine der Hauptforderungen der modernen Architektur umzusetzen.
Zusätzlich betont wird der leichte, für damalige Verhältnisse fast schon schwerelose Charakter der Architektur durch die stützenfreien, ebenfalls mit Glas ausgebildeten Ecken des Gebäudes. Für den Sockel- und Firstbereich sowie für die schmalen Stützen zwischen den Glasflächen des Werkstattgebäudes wurden ergänzend dunkelgelbe Klinker eingesetzt.
Bis heute wird im Fagus-Werk seit über einhundert Jahren ununterbrochen produziert, zum Teil immer noch die traditionellen Fagus-Schuhleisten. Schon 1920 entstand ergänzend ein weiterer Unternehmensbereich, der heute unter dem Namen Fagus Grecon anspruchsvolle Messtechnik und maßgeschneiderte Systeme für den technischen Brandschutz entwickelt und fertigt. Aufgrund der Erweiterung der Produktionspalette ist der Maschinenpark des Unternehmens im Laufe der Zeit mehrfach nachgerüstet und ausgetauscht worden. Trotz Umnutzung und Funktionswandel hat der Komplex jedoch in sämtlichen Teilen sein ursprüngliches Aussehen bewahrt.
Von der Dachpappe zur Bitumenbahn – das Flachdach wird erneuert
Nach rund 70-jähriger Nutzung war 1984 eine umfangreiche Sanierung des seit 1946 als Baudenkmal eingestuften Gebäudes durchgeführt worden. Neben einer denkmalgerechten Sanierung des Glasvorhangs entsprechend der strengen Gestaltungs- und Materialvorgaben von Walter Gropius erfolgte dabei auch eine komplette Erneuerung der 3.000 Quadratmeter großen Dachfläche des Werkstattgebäudes. Zum Zeitpunkt der Errichtung war die gesamte Fläche wie seinerzeit üblich mit Teerpappe abgedichtet worden. Das leichte Gefälle ermöglicht dabei einen zuverlässigen und von außen unsichtbaren Ablauf des Regenwassers in die Stützenkonstruktion des Gebäudes. Bis in die 1960er-Jahre hinein wurde im Rahmen der regelmäßig anfallenden Dachreparaturen ebenfalls Teer verwendet. Erst danach kamen sukzessive Bitumenbahnen zum Einsatz, um so eine zuverlässige Abdichtung der Gebäude zu erreichen.
Eine grundlegende Renovierung des Daches erfolgte erst 1984 im Rahmen der Gesamtsanierung des Gebäudes. In Erwartung weiterer konstruktiver Besonderheiten hatte das ausführende Architekturbüro Köhnemann aus Hamburg seinerzeit in enger Absprache mit der Werksleitung und dem Denkmalschutz beschlossen, das Dach komplett zu öffnen: „Nachdem die Beteiligten dabei aber lediglich auf eine einfache Dachbalkenkonstruktion gestoßen waren, wurde das Dach anschließend komplett mit EPS-Hartschaum gedämmt und mit Bitumenbahnen abgedichtet“, berichtet Dachdeckermeister Roland Busch, der mit seinem vor Ort ansässigen Betrieb seit rund 25 Jahren mit den Inspektionen und Dacharbeiten an den verschiedenen Gebäuden des Komplexes betraut ist.
Nach der umfangreichen Erneuerung des Dachaufbaus von 1984 erfolgten bis heute ausschließlich kleinere Maßnahmen im Dachbereich. Abweichend vom Bestand kommen dabei durchgehend moderne Polymerbitumen-Schweißbahnen zum Einsatz, die in der Regel auf die vorhandenen Bahnen aufgeschweißt werden: „Eine zentrale Auflage des Denkmalschutzes ist dabei die Verwendung von dunklen, anthrazitfarbenen Dachbahnen“, berichtet Roland Busch. „Darüber hinaus müssen sämtlichen An- und Abschlüsse entsprechend der historischen Vorgaben umgesetzt werden. Das betrifft neben den schmalen, mit Zink verblendeten Ansichtskanten der Fenster und der Mauerwerksabdeckungen insbesondere auch die kastenförmigen Fallrohre, die so gar nicht mehr hergestellt werden und die wir daher komplett von Hand fertigen müssen.“ Um die denkmalgerechte Optik des Gebäudes zu erhalten, erfolgen viele der Eingriffe ganz bewusst gegen geltende Richtlinien – „da müssen wir häufig ziemlich improvisieren. Aber schließlich handelt es sich bei dem Fagus-Werk ja inzwischen auch um ein Weltkulturerbe“, erklärt Roland Busch respektvoll.
Objekt: Fagus-Werk
Standort: Alfeld
Architekt 1911: Walter Gropius
Sanierungsplanung: Architekturbüro Köhnemann, Hamburg
Dachabdichtung: Dachdeckermeister Roland Busch GmbH, Alfeld
Standort: Hannoversche Straße 58, Alfeld
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