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Interview mit Thomas Jünger/bso

bso-Geschäftsführer zum neuen FEMB-Nachhaltigkeitsstandard
Interview mit Thomas Jünger/bso

Interview mit Thomas Jünger/bso
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Der europäische Büromöbelverband FEMB hat einen europaweit geltenden Nachhaltigkeitsstandard für Büro- und Objektmöbel ins Leben gerufen. Bereits in der zweiten Jahreshälfte 2015 sollen erste Zertifizierungen vergeben werden. Im "Mensch&Büro"-Interview beschreibt Thomas Jünger die Anforderungen, die Hersteller erfüllen müssen, um das Zertifikat zu erhalten. Der Geschäftsführer des deutschen Büromöbelverbands bso war an der Erstellung des Standards beteiligt.

Mensch&Büro: Der europäische Büromöbelverband FEMB führt einen europaweit einheitlichen Nachhaltigkeitsstandard namens „level“ ein. Der Standard berücksichtigt alle maßgeblichen Aspekte der Nachhaltigkeit und dient dazu, die bisher existierenden, unterschiedlichen nationalen Zertifikate vergleichbar zu machen. Auf welche Parameter kommt es hierbei an? Jünger: Die Zahl der Umwelt- und Nachhaltigkeitszeichen für Büro- und Objektmöbel ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Eine der ersten Aufgaben des mit der Entwicklung des FEMB-Standards betrauten Expertengremiums in der FEMB war daher, mit der Unterstützung der Polytechnischen Universität in Mailand die in Europa gebräuchlichen Zeichen zu vergleichen. Danach galt es, die einzelnen Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekte miteinander zu verbinden und für diejenigen Leistungsbereiche, für die bisher noch keine Richtlinien vorlagen, Anforderungen zu definieren. Das Ergebnis ist ein 84-seitiger Standard, der alle relevanten Aspekte nachhaltiger Büro- und Objektmöbel beschreibt.

Mensch&Büro: Um level 1 zu erreichen, müssen die Büromöbelhersteller eine Mindestpunktzahl von 32 erzielen. Dabei werden die Einflussgrößen „Eingesetzte Materialien“, „Energie und Atmosphäre“, „Gesundheit von Mensch und Ökosystem“ sowie „Soziale Verantwortung“ abgefragt. Das heißt, es geht nicht allein um die Beschaffenheit der Produkte, sondern auch um die der Produktionsstätten sowie die Organisationsstruktur in den Unternehmen. Was müssen Unternehmen tun, um die erforderlichen Punkte zu erhalten?
Jünger: Es war uns wichtig, die gesamte Prozesskette zu betrachten. So wird beispielsweise im Zertifizierungsbereich „Energie und Atmosphäre“ nicht nur die Energie berücksichtigt, die zur Produktion, während der Nutzung oder im Rahmen der Wiederverwertung der Produkte erforderlich ist, sondern auch die Graue Energie, die zur Gewinnung der Rohmaterialien benötigt wird. Im Bereich „Soziale Verantwortung“ wird neben dem Verhalten des Herstellers in seinem direkten Wirkungsbereich auch beurteilt, wie er die Grundsätze verantwortlichen Handelns in seiner Lieferkette etabliert.
Der FEMB-Standard listet all diese Punkte sehr detailliert auf. Er ist sozusagen ein Leitfaden, der Unternehmen hilft, Punkt für Punkt ihren „Level“ in Sachen Nachhaltigkeit zu ermitteln und gleichzeitig Ansatzpunkte für Verbesserungen zu identifizieren. Hersteller, die ihr derzeitiges Nachhaltigkeits-Niveau durch eine Zertifizierung dokumentieren wollen, müssen dafür ein anerkanntes Prüf- und Zertifizierungsinstitut beauftragen. Dieses überprüft dann, wie weit die Kriterien des FEMB-Standards erfüllt werden und ermittelt die Anzahl der Punkte oder Credits, die für eine Einstufung in den insgesamt drei Zertifizierungsklassen zu erreichen sind. Mensch&Büro: Wie erzielen sie level 2 und level 3? Jünger: Unabhängig von der Zertifizierungsstufe müssen die zu zertifizierenden Produkte beziehungsweise ihre Hersteller eine Reihe von Vorbedingungen oder Musskriterien erfüllen. Darauf aufbauend kann der Antragsteller durch Erfüllung weiterer Anforderungen Punkte sammeln. Für eine Zertifizierung auf der Stufe „level 1“ müssen alle 24 Vorbedingungen erfüllt werden und mindestens 32 von insgesamt 94 möglichen Zusatzpunkten erreicht werden. Das klingt zunächst einmal nach wenig, doch in der Praxis kann die Einlösung der 24 Vorbedingungen und weiterer 32 Punkte bereits ein sehr anspruchsvolles Unterfangen sein. Für „level 2“ müssen neben den Musskriterien noch 45 Punkte nachgewiesen werden; für „level 3“ sind mindestens 63 Zusatzpunkte erforderlich. Eine weitere Hürde stellt in allen drei Zertifizierungsstufen die Tatsache dar, dass jeweils eine definierte Anzahl von Punkten in direktem Zusammenhang mit den Produkteigenschaften stehen muss. Alle anderen Punkte können sowohl aus der Kategorie Produkt, aus dem Bereich Fertigung oder aus organisatorischen Stärken generiert werden. Mensch&Büro: Welchen Nutzen haben die deutschen Büromöbelhersteller, deren Interessen Sie vertreten, von der einheitlichen Zertifizierung? Jünger: Diese Frage lässt sich am besten anhand eines Beispiels beantworten: Bislang ist es noch so, dass eine ausschreibende Stelle den Nachweis von Schadstoffen beziehungsweise deren Abwesenheit anhand des Blauen Engels fordert, die nächste anhand von Greenguard und die dritte favorisiert Toxproof. Als Hersteller müssen Sie dann entweder immer wieder erläutern, wie weit die einzelnen Zertifikate vergleichbar sind oder sie müssen mehrere Zertifizierungen vorhalten, ohne daraus einen echten Erkenntnisgewinn zu ziehen. Im Ergebnis führt das zu zusätzlichen Kosten, die wir mit der übergreifenden level-Zertifizierung vermeiden wollen. Ebenso bestimmend für das Engagement für das FEMB-Projekt war die Notwendigkeit, einen Maßstab für nachhaltiges Handeln zur Verfügung zu stellen, mit dem die einzelnen Unternehmen leichter feststellen können, wo sie aktuell stehen und wo sie noch Verbesserungspotenzial haben. Mensch&Büro: Wie unterstützen Sie vom bso die deutschen Büromöbelproduzenten? Jünger: Vor allem mit Informationen und eben auch damit, dass wir mit dem FEMB-Standard, den wir zusammen mit unseren europäischen Kollegen und den von uns beauftragten Experten erarbeitet haben, für mehr Transparenz gesorgt haben. Darüber hinaus pflegen wir einen engen Kontakt mit den Prüfinstituten, die sich derzeit um eine Akkreditierung als anerkannte level-Zertifizierer bemühen. So ist ein Erfahrungsaustausch möglich, der es den einzelnen Unternehmen leichter macht, die erforderlichen Nachweise zu erbringen und ihr Nachhaltigkeits-Level aktiv zu erhöhen. Mensch&Büro: Inwiefern profitieren die Käufer der Büromöbel von diesem Label? Jünger: Zunächst einmal dadurch, dass Sie das erste Mal auf eine umfassende, europäische Nachhaltigkeitszertifizierung zurückgreifen können. Letztendlich aber auch durch eine Reduzierung der Zertifizierungskosten, denn konkurrierende Mehrfachprüfungen müssen am Ende immer auf die Produktpreise umgeschlagen werden. Mensch&Büro: Der FEMB-Standard lehnt sich stark an den Standard „Bifma e3“ der nordamerikanischen Büromöbelindustrie an. Erleichtert das den Export europäischer Büromöbel nach Nordamerika? Jünger: Ja und nein. Erhebliche Teile des US-amerikanischen Standards und des FEMB-Dokuments sind identisch. Andere Anforderungen beziehen sich spezifisch auf den amerikanischen oder den europäischen Markt. Wenn Unternehmen, die eine FEMB-level-Zertifizierung haben, ihre Produkte in den USA verkaufen wollen oder Hersteller von BIFMA-zertifizierten Produkten diese in Europa vertreiben wollen, können sie folglich nicht automatisch die uneingeschränkte Gültigkeit für den jeweils anderen Markt reklamieren.
Allerdings planen BIFMA und FEMB eine Anerkennung der inhaltsgleichen Teile ihrer Zertifizierungen. Hierfür sind noch ein paar formale und juristische Fragen zu klären. Das werden wir aber im Verlauf der nächsten Monate tun, um auch im Warenaustausch zwischen Europa und den USA Zusatzkosten durch Doppelprüfungen zu vermeiden. Mensch&Büro: Die FEMB will bereits in der zweiten Jahreshälfte 2015 erste Zertifizierungen vergeben. Ist der Zeitrahmen realistisch? Jünger: Ja durchaus. Neben dem Standard selbst haben unsere Experten in den vergangenen Monaten Richtlinien für die externen Prüfer erarbeitet. Dies geschah wie schon die Ausarbeitung der Anforderungen in Kooperation mit Vertretern der BIFMA, die ihre Erfahrungen aus der Anfangsphase des BIFMA-Standards eingebracht haben. So konnten wir den einen oder anderen Lernprozess überspringen.
In einer Pilotphase haben zudem schon mehrere Unternehmen Möbel unterschiedlichster Art auf Basis des FEMB-Standards prüfen lassen. Diese warten sozusagen nur noch auf die Akkreditierung ihrer Prüfer, damit sie dann auch das level-Zeichen nutzen können. Die Akkreditierung der Prüfinstitute wird allerdings noch ein gutes halbes Jahr in Anspruch nehmen, weil diese sich ganz im Sinne einer unabhängigen Zertifizierung von den jeweiligen staatlich beauftragten Zulassungsstellen akkreditieren lassen müssen. Mensch&Büro: Wird der europäische Verband mittelfristig selbst als Zertifizierungsstelle auftreten oder überlässt er das den nationalen Organisationen? Jünger: Die Rechte an dem europäischen level-Zeichen liegen bei der FEMB. Diese wird die akkreditierten Prüfstellen autorisieren, das level-Zeichen in Lizenz zu vergeben. Die nationalen Büromöbelverbände inklusive des bso bleiben dabei im Hintergrund.
Das Interview führte Gabriele Benitz.
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