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Hans-Jürgen Schliepkorte vom Fraunhofer-inHaus-Zentrum

Exklusiv-Interview
Hans-Jürgen Schliepkorte vom Fraunhofer-inHaus-Zentrum

Das komplette Interview aus der aktuellen Mensch&Büro-Ausgabe mit Hans-Jürgen Schliepkorte, Ansprechpartner im Duisburger Fraunhofer-inHaus-Zentrum, mit detaillierten Äußerungen insbesondere zur Gebäudetechnik, Lichtsteuerung und Laufzeit des neuen Forschungsprojekts "inRaum-ATMO".

Mensch&Büro: Das Testfeld „Büro“ gab es im inHaus2 von Anfang an. Welche Erfahrungen machten Sie dort? Schliepkorte: Das inHaus-Büro mit 16 Arbeitsplätzen gibt es bereits seit 2008 im inHaus-Zentrum. Wir streben seither an, dass wir in einem flexiblen Büro arbeiten und Desksharing praktizieren. Jeder Mitarbeiter besitzt einen Rollcontainer und kann sich übers Telefon anmelden. Die Arbeitsplätze können flexibel genutzt werden, sodass das Team eines Projekts zusammen sitzt oder ein Telefonat auch einmal in einem geschlossenen Büro abgehalten werden kann. Alle von uns verfügen über ein Notebook. Von Anfang an beschäftigten wir uns damit, wie wir arbeiten können, ohne uns gegenseitig zu stören. Da geht es beispielsweise um Ruhezeiten oder darum, dass jemand, der viel telefoniert, in ein Einzelbüro geht. Wir praktizieren an uns selbst, wie gut das funktioniert. Im Großen und Ganzen klappt das prima. Andere Dinge konnten wir noch nicht perfekt umsetzen, etwa das papierlose Büro. Hierfür sind umfassendere Umstellungen notwendig, da viele Dokumente noch unterschrieben werden müssen und die elektronische Unterschrift bisher bei uns noch nicht eingeführt wurde. Mensch&Büro: Was zeichnet das neue Systemprojekt „inRaum-ATMO“ aus, das jüngste Labor im Fraunhofer-inHaus-Zentrum, an dem sich sechs Fraunhofer-Institute beteiligen? Schliepkorte: Im „inRaum-ATMO“ – ATMO steht für Assistives Multifunktionales System-Büro – werfen wir stärker als bisher einen Blick in die Zukunft. Wir arbeiten nach wie vor anwendungsnah, aber forschungslastiger. So beschäftigen wir uns unter anderem mit dem Thema Betonkernaktivierung mitsamt Kühlung und Raumkonditionierung. Zudem befassen wir uns mit der Luftqualität in Büroräumen. Dabei messen und untersuchen wir vor allem den CO2-Gehalt in Räumen. So stellten wir etwa fest, dass die Luftqualität schnell nachlässt, wenn Mitarbeiter kleinere Besprechungsräume für vier Personen über mehrere Stunden hinweg ununterbrochen belegen. Allerdings ist es sehr nutzerabhängig, wann jemand das Fenster öffnet, um frische Luft hereinzulassen. Deshalb installierten wir einen CO2-Warner. Das ist eine Raumkugel, die aufleuchtet, wenn der CO2-Gehalt zu hoch ist. Inzwischen arbeiten wir vom IMS mit einer elektronisch gesteuerten Türdichtung. Auf Basis der CO2-Messung steuert ein kleiner Motor über eine Feder die Zuluft über der Türdichtung am unteren Teil des Türflügels. Die Dichtung zieht sich nach oben, durch den Schlitz kann sich die Raumluft austauschen. Gleichzeitig schaltet das System über die Gebäudeleittechnik die Lüftungsanlage an, die die verbrauchte Luft aus dem Raum befördert. Mensch&Büro: Testen Sie noch weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität? Schliepkorte: Es gibt drei Paneele mit unterschiedlichen Funktionen. Neben einem mit akustischer Wirkung gibt es zwei weitere, die zur Raumluftverbesserung beitragen. Während das eine Paneel einen Papierfilter enthält, der Schwebeteilchen aus der Raumluft filtert, arbeitet das andere photokatalytisch. Das vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) entwickelte Wandpaneel, in dessen Inneren sich die photokatalytisch wirkende Schicht befindet, kann unerwünschte Luftbestandteile umwandeln. Ventilatoren saugen die Luft an. Wir setzen das Paneel vor eine normale Wand. Mensch&Büro: In Ihrem „Living Lab“ widmen Sie sich neben der Raumlufttechnik auch dem Energiemonitoring. Das vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) entwickelte System erfasst und visualisiert Energieströme. Schliepkorte: Energieeffizienz ist ein großes Thema in gewerblichen und Bürogebäuden. Dadurch lassen sich zehn bis zwanzig Prozent des Energieverbrauchs einsparen. Die wichtigste Frage dabei ist, wo die Energie eigentlich verbraucht wird. Das fängt bei der Informationstechnologie und der Beleuchtung an und geht bis zum Betrieb von Aufzügen oder Lüftungsanlagen. Wir schauen uns jeden einzelnen Verbrauch an. Indem wir die einzelnen Verbräuche aufschlüsseln, wissen wir, wo wir Energie reduzieren und die Energieeffizienz steigern können. Mensch&Büro: Sie erforschen im inHaus2 überdies schaltbare Fassadenelemente. Schliepkorte: Unsere Kollegen vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) haben zusammen mit BASF eine dünne Folie für Fassadenelemente entwickelt. Mit ihr kann der Wärmedurchgangskoeffizient erfasst, gesteuert und modifiziert werden. Das funktioniert über verschiedene isolierende Matten, die gegeneinander verschoben werden und die Konvektion im Fassadenelement beeinflussen. Im Sommer wird das anders gesteuert als im Winter, am Tag anders als in der Nacht. Während im Sommer nachts ein hoher Wärmedurchgang erwünscht ist, um die Wärme aus dem Gebäude zu bekommen, ist es tagsüber genau umgekehrt. Diese Folien oder Matten können in Oberlichtern eingesetzt oder in bestimmte Fassaden eingebaut werden. Damit lassen sich rund 20 Prozent des Kühlbedarfs verringern. Mensch&Büro: Was die Inneneinrichtung der eigentlichen Büroräume betrifft: Hier kommt etwa der multifunktionale Arbeitsplatz „IWWP Next“ des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) zum Einsatz. Was macht ihn aus? Schliepkorte: Im Vordergrund steht, dass die Arbeitsplätze flexibel und für verschiedene Nutzer zur Verfügung stehen. Beim vom IAO entwickelten mobilen Arbeitsplatz „IWWP Next“ – IWWP steht für Information Worker’s Workplace – meldet man sich über eine RFID-Karte oder per Smartphone am Schreibtisch an. Im Vorfeld wurde die Infrastruktur auf meine persönlichen Belange angepasst, also ein Ergonomieprofil erstellt. Integriert ist eine blendfreie LED-Arbeitsplatzleuchte, die auf Tageslichteinfall reagiert und deren Lichtfarbe ich individuell einstellen kann. Die Höhe des Steh-Sitz-Tisches mit zwei Bildschirmen lässt sich motorisch einstellen. Durch Kippen verwandelt sich die Arbeitsplatte in ein beschreibbares Whiteboard. Es gibt persönlich zugewiesene Fächer, zum Beispiel für die Notebook-Aufbewahrung, die ich mit meinem Transponder öffnen und schließen kann. An der Rückwand des Arbeitsplatzes befinden sich weitere Fächer. Mensch&Büro: Darüber hinaus experimentieren Sie mit Raumgliederungselementen, die unterschiedliche Eigenschaften besitzen. Schliepkorte: Ein großes Thema in unserem ATMO-Labor ist die Akustik. Wir beließen hier zum Beispiel einen Besprechungsraum ohne akustisch wirksame Eingriffe. Dagegen setzten wir in einem größeren, offenen Bereich Passivmaßnahmen wie Deckenverkleidungen und -segel, eine Akustikwand und Trennwände zur Schallabsorption ein. Hinzu kommen vom IBP entwickelte akustisch aktive Maßnahmen wie Schallmaskierung. Über Lautsprecher bringen wir einen als Rauschen empfundenen „Maskierungsschall“ in den Raum ein, der den Umgebungsschall überlagert. Die Maskierung müssen wir genau auf den jeweiligen Arbeitsplatz abstimmen. Wir experimentieren hier mit in Akustiksegel oder in Leuchten integrierten Lautsprechern. Im Herbst starten wir vom IBP umfangreiche Messungen, um die Wirksamkeit zu überprüfen. Außerdem wollen wir erfahren, ob das Rauschen als lästig wahrgenommen wird oder nicht. Mensch&Büro: Abgesehen von den großen Maßnahmen testen Sie auch kleinere Elemente wie einen digitalen Stift, der Handschriften umsetzt, oder einen Abfallbehälter, der die sortenreine Trennung erleichtert. Wie funktioniert das? Schliepkorte: Die Software für den digitalen Stift haben unsere Kollegen vom Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik (ISST) entwickelt. Es geht dabei darum, wie auf Papier skizzierte Prozessabläufe digital so umgesetzt werden können, dass ein Prozessbild entsteht. Die Mülltrennstation vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) entstand vor dem Hintergrund, dass Mülltrennung in Büros mit viel Papier, Abfall und Wertstoffen eher stiefmütterlich behandelt wird. Es geht hier darum, Anreize zu schaffen, nach Abfallsorten zu trennen. Die Station mit berührungsfreier Bedienung zeigt durch „Lob“ oder „Tadel“ anhand verschiedener Informationen, warum es sinnvoll ist zu trennen. Mensch&Büro: Sie betreiben das inRaum ATMO seit Mitte Juni. Welche Erkenntnisse haben Sie seitdem gewonnen? Schliepkorte: Wir befinden uns in der Test- und Erprobungsphase und haben dabei auch Randbereiche ausprobiert. Die Räume wurden zusammen mit Innenarchitekten entworfen. Kreative Arbeit erfordert ein kreatives Umfeld, in dem ich mich an unterschiedlichen Orten aufhalten kann. Die Atmosphäre ist schon sehr gut auf uns Nutzer abgestimmt und wir stellen fest, dass wir leistungsfähiger geworden sind. Gemessen haben wir das aber noch nicht. Das will das IAO demnächst genau untersuchen – an individuellen Arbeitsplätzen, aber auch an Work Benches für mehrere Menschen. Mensch&Büro: An welchen Stellen ist es noch nötig, zu variieren oder nachzubessern? Schliepkorte: Im Besprechungsraum ist die Akustik noch nicht gut genug. Wir müssen testen, ob Akustiksegel oder Wandelemente besser funktionieren. Der Besprechungsraum weist eine vom IBP zusammen mit der Firma Nüsing kreierte mobile Glastrennwand auf, in die ein Monitor für Präsentationen integriert ist. Wir wollen ausprobieren, ob er sich auch bei aufgeschobener Wand nutzen lässt. Überdies erproben wir, wie gut die drahtlose Bildübertragung bei diesem Bildschirm im Arbeitsalltag einsetzbar ist. Wir beschäftigen uns auch detaillierter mit den Arbeitsplätzen. Werden die Work Benches genutzt? Welche Stühle sollte man einsetzen? Bei der Gebäudetechnik befassen wir uns mit Bedienungsfragen: Lässt sich etwa die Beleuchtung mitsamt farbigem Licht besser über einen Schalter, ein Tablet oder ein Smartphone steuern? Mensch&Büro: Da bleiben also noch eine Menge Aufgaben. Wie lange läuft das Forschungsprojekt? Schliepkorte: Es gibt keinen festen Zeitplan. Wir betreiben die Themen so lange, wie sie inhaltlich tragen. Das umfasst Dauerthemen mit bestehenden Partnern aus der Industrie und Wirtschaft oder es kommen neue Themen mit neuen Partnern auf. So lange sich Partner für unsere Forschungen interessieren, läuft das weiter. Das inHaus2 besteht seit 2004. Bisher sind immer neue Inhalte und Schwerpunkte entstanden, zum Beispiel zum Thema Wohnen. Mensch&Büro: Wie finanzieren Sie Ihre Projekte? Schliepkorte: 50 Prozent kommen aus Fraunhofer-öffentlichen Mitteln, zum Beispiel durch Forschungsprojekte, 50 Prozent über Industriepartner. Mensch&Büro: Welche Ziele streben Sie mit Ihrem Projekt „inRaum ATMO“ an? Schliepkorte: Wir verfolgen das übergeordnete Ziel, Büroumgebungen zu verbessern. Hintergrund für unsere Forschungen ist der, dass in Deutschland sehr viele Bürobestandsgebäude existieren. Wir wollen hierfür neue Verfahren, Technologien und Systeme erproben. So gibt es zum Beispiel bei der Beleuchtungssteuerung oder bei EDV-Netzwerken der Energieeffizienz keine durchgängigen Systeme. Anhand von 13 sogenannten „Systemdemonstratoren“ – das sind die verschiedenen Elemente und Projekte – können wir unsere Ergebnisse präsentieren. Der Raum selbst stellt nur das dar, was wir im Hintergrund entwickeln. Die Vielfalt dieser Projekte und dass sich alle am inHaus beteiligten Fraunhofer-Institute einbringen, machen das Besondere aus. Das erleben die mehreren Tausend Fachbesucher pro Jahr, darunter unsere Industriepartner und deren Kunden. Die Themen, auch für die beteiligten Hersteller, werden uns auch künftig nicht ausgehen. Das Interview führte Mensch&Büro-Redakteurin Gabriele Benitz. Fotos: Headroom Consult/Jörg Bakschas, ©Fraunhofer IAO; privat (Porträt Hans-Jürgen Schliepkorte) Kurzvita: Hans-Jürgen Schliepkorte studierte Elektrotechnik an der Ruhr-Universität-Bochum. Seit 1994 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme IMS. Er leitete von 2008 bis 2013 die Gruppe „Energy Efficiency Solutions“ und leitet seit 2013 die Gruppe „Gebäudesysteme“ in der Abteilung Transponder, Systeme und Anwendungen. Am Fraunhofer IMS ist Schliepkorte Leiter der Kernkompetenz Software. Er arbeitet seit vielen Jahren im Bereich der Middleware und in der Entwicklung von Assistenzsystemen und übergeordneten Anwendungen für Gebäude- und Sensorsysteme. Weiterhin vertritt er das Fraunhofer IMS in der Institutsgemeinschaft des Fraunhofer-inHaus-Zentrums.

Das "inHaus-Zentrum": Als kreative Ideenschmiede erforscht und entwickelt das Fraunhofer-inHaus-Zentrum in Duisburg gemeinsam mit sechs Fraunhofer-Instituten und 120 Partnern aus Industrie und Wirtschaft innovative und nachhaltige Lösungen für intelligente Räume und Gebäude. In den sieben Geschäftsfeldern Arbeiten, Bauen, Energie, Gesundheit, Hotel, Ressourcen und Wohnen werden so neuartige Systemlösungen und Raumkonzepte, innovative Baumaterialien, intelligente Gebäudetechnik und elektronische Assistenz entwickelt, um zusammen neue Märkte zu erschließen. Als jüngstes „Living Lab“ entstand das „inRaum-ATMO“.
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