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Ästhetik des Plattenbaus

Hörtipp und Buch
Ästhetik des Plattenbaus

Ästhetik des Plattenbaus
Islamische Elemente an den Fassaden von Plattenbauten in der usbekischen Hauptstadt Taschkent I Bild: dpa-Zentralbild / Frank Baumgart

Die Ästhetik des Plattenbaus,  ist das grauer Beton oder inspirierende Architektur? Plattenbauten in Ost und West sind nach 1989 ästhetisch in Ungnade gefallen. Zu Unrecht, wie Architekt Philipp Meusser findet. Er sprach im Dlf über die Schönheit der Monotonie und eine mögliche Zukunft der Fertigbauweise.

Unpersönliche Hoffnungslosigkeit ist das Gefühl, das viele befällt, wenn sie heute vor Plattenbauten stehen. Das war aber nicht immer so. Besonders in den Ostblock-Staaten kam die Fertigbauweise lange Zeit einem modernen Heilsversprechen gleich. Nämlich das eines bezahlbaren Wohnraums mit relativ hohem Lebensstandard.

Architektonischer Gestaltungswille

Aber auch im Westen wurde in den 60ern und 70ern in Folge von Wohnungsknappheit Plattenbauten errichtet. Zum Beispiel in Stockholm. Das ist auch der Grund, warum dort im Swedish Centre for Architecture and Design die Ausstellung „Flying Panels – How Concrete Panels Changed the World“ eröffnet hat. Die Kuratoren Pedro Ignacio Alonso and Hugo Palmarola haben neben der Ausstellungen auch noch einen begleitenden Essay-Band selbigen Titels im Dom Publisher-Verlag veröffentlicht.

Der Architekt Philipp Meuser ist nicht nur der Verleger dieses Werks. Er hat auch selbst einen Aufsatz über die Mosaik-Fassaden der Jarsky-Brüder in der usbekischen Hauptstadt Taschkent verfasst. Mosaike und Kacheln, die „natürlich immer auch eine politische Aussage haben oder hatten, kleine Details“, so Philipp Meuser, „an denen Sie einfach erkennen können, dass es eben nicht nur Ingenieure waren, die das ganze geplant haben. Sondern auch Architekten mit einem Gestaltungswillen.“

Materialknappheit und Improvisation

Für den Architekten ist der ästhetische Reiz des Plattenbaus schwer zu trennen von seinen politischen Zielen. 1973 hatte die DDR beschlossen, ihre Wohnungsnot bis 1990 mit einem Bauprogramm für über drei Millionen Wohnungen zu lösen. 

„Diese politische Idee, möglichst vielen Menschen den gleichen Wohnraum, die gleichen Wohnverhältnisse und den gleichen Standard zur Verfügung zu stellen – die ist erst mal gescheitert. Das hing aber nicht an den Architekten. Die haben gestrampelt und haben wirklich gemacht, was möglich war.“

Erschwert wurde das jedoch durch Baustoffknappheit und durch das Abwandern von Fachkräften.

„Das Know-How war nicht da, viele Materialien standen nicht zur Verfügung. Da haben die Architekten dann angefangen zu improvisieren. In der Herstellung, aber auch in der Planung. Dabei sind dann die monotonsten Beispiele im Plattenbau entstanden.“

Gleichmacherei oder Standardisierung?

In den sozialistischen Staaten ermöglichte die zentralistische Bauplanung durch große Kombinate einen viel flächendeckenderen Plattenbau. Und obwohl der Westen selbst – etwa wie eingangs erwähnt in Schweden – mit der Fertigbauweise und Beton Wohnraum für seinen Baby-Boom schuf, verbinden viele die Platte nur mit dem Osten und machen sich die ästhetische Kritik aus den kapitalistisch geprägten Ländern zu eigen, es handele sich um „Gleichmacherei“. Gleichaussehende Häuser, gleichaussehende Straßenzüge. Für Meuser „ein großes Missverständnis“.

„Es sind eben doch immer kluge, kreative Köpfe gewesen, die hinter dieser Idee standen, Wohnraum zu standardisieren. Das war ja nicht als „Gleichmacherei“ gedacht, sondern um Bevölkerungsschichten, die in unhygienischen und unbequemen Wohnverhältnissen lebten, aus diesen rauszuholen. Hinein in ein Glücks- und Zukunftsversprechen, mit dem man sie dann in neue Wohnungen umgesiedelt hat.“

Taschkent – Monotonie und Mosaike

Die als „Gleichmacherei“ verächtlich gemachten Plattenbauten zeichneten sich zwar durch ihre internationale Standardisierung aus, sie waren aber dennoch nicht überall von Havanna über Hoyerswerda bis Kleinasien gleich. Hie und da ging die resultierende Monotonie auch mal eine ästhetisch interessante Liaison ein. Etwa in der usbekischen Hauptstadt Taschkent, die 1966 nach einem Erdbeben mit Hilfe zahlreicher Sowjetrepubliken nach dem Vorbild einer sozialistischen Planstadt wiederaufgebaut wurde. Und das auf eine ganz eigene Art, eine, in die das uralte islamische Erbe der Stadt mit einfloss:

„Ein Großteil der Fassaden, vor allem Stirn-Fassaden sind belegt mit farbigen Ornamenten und Mosaiken. Und das ist etwas, was man in dieser Form eigentlich nirgendwo anders auf der Welt findet, dass Plattenbauten, also industriell vorgefertigte Wohngebäude, so stark dekorativ belegt sind. Eine Besonderheit, die ich nur in Taschkent vorgefunden habe.“

Plattenbau in Zeiten des Klimawandels

Ob die politische Idee des Plattenbaus, die Idee vom bezahlbaren Wohnraum für alle, nun, in Zeiten des Mietenwahnsinns ein Comeback erlebt, das hängt vermutlich noch von anderen Faktoren ab. Schließlich ist laut einer Studie des WWF der für die Betonherstellung benötigte Zement für acht Prozent der globalen Treibhausemissionen verantwortlich. Für Philipp Meuser aber noch kein Grund, den Plattenbau als Architekturmodell der Zukunft zu verwerfen: 

„Der Plattenbau aus Beton – ich glaube, da muss es in Zukunft Alternativen geben und diese Alternativen gibt es ja bereits. In den vergangenen Jahren ist der urbane Holzbau groß im Kommen. Der Holzbau ist ja auch eine Vorfertigung, eine Standardisierung. Das wird auch in der Fabrik hergestellt und dann  auf dem Bauplatz und auf der Baustelle „nur noch montiert“. Ich glaube, es gibt viele Alternativen, mit anderem Material zu arbeiten. Der Plattenbau an sich ist ja erst mal politisch unschuldig.“

Wir haben noch länger mit Philipp Meuser gesprochen – hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs [AUDIO]

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Die Ausstellung „Flying Panels“ läuft noch bis zum 1. März im Swedish Centre for Architecture and Design in Stockholm. Der gleichnamige Essayband ist im Verlag DOM Publishers erschienen, hat 264 Seiten und kostet 38,00 Euro.

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