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Sanierung und Modernisierung einer orthodoxen Kirche in Aix-en-Provence

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Sanierung und Modernisierung einer orthodoxen Kirche in Aix-en-Provence

Hinter den historischen Mauern einer Kapelle aus dem 13. Jahrhundert entsteht im Zentrum von Aix-en-Provence eine neue orthodoxe Kirche. Ein ohne sichtbare Verbindungen aneinander gekoppeltes Holzskelett stellt die Hülle dar.

Sie ist nagelneu und zugleich uralt und obwohl modern auch historisch. Die neue orthodoxe Kirche im Zentrum von Aix-en-Provence ist eingebettet in einen Kirchenbau aus dem 13. Jahrhundert. Damals gingen in der Kapelle Mère de Dieuxsource de Vie Huf- und Messerschmiede, Werkzeugmacher sowie andere Angehörige der Zunft der metallbearbeitenden Handwerker ihren Aufgaben und Verpflichtungen nach. Im 16. Jahrhundert hatten die Schwestern der Reinheit die heilige Stätte übernommen, sie lehrten hier Mädchen aus einfachen Verhältnissen und dem Mittelstand. Zu Beginn der französischen Revolution kamen aus der unmittelbaren Nachbarschaft rund 100 Schülerinnen, die von 50 Schwestern in den historischen Mauern unterrichtet wurden. Im Zuge der Revolution verkaufte man die Kapelle als Nationalgut an einen Handwerker. Zwischendurch nutzte man sie wieder als Kirchengebäude. 1850 war auch diese Ära zu Ende. La Mère de Dieuxsource de Vie war für die Vielzahl der Gläubigen zu klein geworden und wurde um 1900 an das Elektrizitätswerk der Stadt vermietet. 1926 erwarb der Mieter das Gebäude und nutzte es fortan als elektrisches Umspannwerk für die Stadt Aix-en-Provence. Im Zuge des technischen Fortschritts schließlich reduzierte sich der Flächenbedarf des neuen Besitzers. Er benötigt heute nur mehr rund ein Sechstel der damals erworbenen Flächen.

Holzskelettbau als neue Struktur
Das war die Chance für eine Gruppe von Gläubigen, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, in Aix-en-Provence eine orthodoxe Kirche zu etablieren. Nach langer Suche haben sie aufgrund einer Information vom Rathaus von dem Gebäude erfahren und so erwarben sie einen Teil der ehemaligen Kirche, um auf dieser nur 17 m langen und 4 bzw. 6 m breiten Fläche, sowie 13 m hohen eine neue Gebetsstätte zu integrieren. Geplant wurde ein tonnenförmiger Holzskelettbau, der in den historischen Baukörper hineingestellt wurde. Im Erdgeschoss des Neubaus sind die Gebetsstätte und ein Baptisterium vorgesehen. Im Stockwerk darüber finden ein Mehrzweckraum und ein Büro Platz.

Mittlerweile ist der Bestand entkernt. Rund 200 Tonnen Bauschutt wurden dabei abgetragen. Dächer und Fenster der alten Kapelle wurden erneuert, eine Treppe eingebaut. Auch das Holzskelett der neuen Kirchenhalle steht bereits. Die Architekten hatten sich gemeinsam mit den Bauherren für eine Holzständerbauweise entschieden und den Zimmerer Cédric Roth-Meyer mit einem Entwurf in Holzbauweise beauftragt.

„Ich habe nach einer dreijährigen Ausbildung als Zimmerer bei den Compagnons du Devoir in Montpellier noch eine einjährige Zusatzausbildung als Schiffszimmerer in den Ateliers de l´Enfer in Douarnenez in der Bretagne absolviert“, erklärt Roth-Meyer. Im Januar 2010 gründete der 31-jährige ein eigenes Unternehmen namens Intuition Bois, das sich auf Holzskelettbau und die Renovierung von Hausbooten spezialisiert hat. Vom Schiffsbau inspiriert war daher auch die Entwurfsidee, die er seinen Auftraggebern übergab. Auf ihren Wunsch hin hatte er die Tragkonstruktion aus Brettschichtholz mit nicht sichtbaren Verbindern aneinander gekoppelt und damit eine elegante und klare Lösung geschaffen, die alle überzeugte. Gleichzeitig erwies sich das Holzskelett als günstiger und schneller realisierbar als eine Betonstruktur.

Drei Mann, drei Monate
„Allerdings waren wir nur zu dritt und sollten die Struktur in nur drei Monaten erstellen“, erinnert sich Roth-Meyer. Erschwerend kam noch hinzu, dass das Skelett aufgrund seiner Dimensionen nicht direkt auf der Baustelle realisiert werden konnte. Der Zugang zur Kapelle war nur über einen lediglich 2,50 m breiten Fußgängerweg und einer 1,8 m breiten Tür möglich. Daher entwickelte der Unternehmer eine zerlegbare Konstruktion, die sich aus tragenden Säulen und einem darauf ruhenden Tonnengewölbe aus halbkreisförmigen Bogenbindern zusammensetzt. Diese musste in Einzelteilen verladen und mit einem kleinen Transporter von der Werkstatt auf die Baustelle transportiert werden, wo es mit Hilfe eines Gabelstaplers und einem fahrbaren Gerüst in Position gebracht und wieder zusammengebaut wurde. Das Skelett war dank der Steckverbinder rasch errichtet, für insgesamt alle Holzbauarbeiten benötigte der Zimmerer rund zwei Wochen.

Um das Projekt in der vorgegebenen Zeit zu realisieren, mietete er einen Stall an, in dem normalerweise Schafe gehalten werden. So geschützt, produzierten die drei Handwerker sämtliche Einzelteile des per CAD/CAM konzipierten Holzskeletts und setzen die Gewölbestruktur komplett zusammen, um die einstellbaren Verbinder zu justieren und damit kürzeste Montagezeiten zu realisieren. Lediglich die rund 5 m hohen Stützen darunter wurden zunächst nicht montiert. „Als wir das schlank dimensionierte Skelett das erste Mal vorzeigten, waren die Bauherren erstaunt, das es so schön war“, freut sich dessen Erbauer, „und auch die Architekten waren davon so überzeugt, dass beschlossen wurde, die Struktur entgegen dem ursprünglichen Plan nicht zu verkleiden und sichtbar zu belassen.“

Testlauf überzeugt
Um den Zusammenbau und die Demontage zu vereinfachen, war das gesamte Skelett mit Steckverbindungen mit geringem Einhängeweg ausgeführt. Als Verbinder hatte Roth-Meyer rund 530 Knotenpunkte mit dem Haupt-Nebenträgerverbinder Ricon® und Schwerlastverbinder Ricon® S des Herstellers Knapp ausgeführt. „Damit konnten wir alle komplexen Verbindungen einfach bewältigen und erhielten zudem eine hochbelastbare Struktur“, betont der Holzbauer. Der aus zwei baugleichen Teilen bestehende und aus hochwertigem feuerverzinkten Stahl gefertigte Verbinder ist – mit europäischer Bauzulassung, auch aus mittig und bei Schräganschlüssen – sehr hoch belastbar, sodass je nach Belastungdie optimal geeignete Verbinderdimension eingesetzt werden kann. Diese Verbindungslösung kann als Haupt-Nebenträger- und als Pfosten-Riegel-Verbinder eingesetzt werden und ermöglicht auch Anschlüsse an Beton- oder Stahlträger. Er lässt sich unsichtbar verbauen, „und erfüllt damit genau den ursprünglichen Wunsch der Bauherren“, informiert der Zimmerer. Gleichzeitig erlaubt er vielseitige Einzel-, wie auch Doppel- und Mehrfachanschlüsse, „was es uns ermöglicht hat, eine sehr schlanke Kuppelstruktur mit schlanken Profilansichten zu gestalten“, fährt er fort. Nicht zuletzt lässt er sich flexibel von oben oder von unten mit Sperre einhängen oder, wie bei Fassaden, sowohl von außen wie von innen montieren.

Diesen Pluspunkt lernten die Monteure auf der Baustelle schätzen, wo sie auf engstem Raum das Skelett endgültig zusammensetzten. Alle Einzelteile waren zuvor nummeriert worden, „sodass wir sie fast wie einen Lego-Bausatz montieren konnten“, lächeltRoth- Meyer. Der kurze Anzug- und Einschubweg der Verbinder und deren schwalbenschwanzförmige Ausprägung erleichterten die Aufnahme der verstellbaren Halteschrauben. So ließen sich auch Einbautoleranzen mühelos ausgleichen und die einzelnen Binder fugendicht und schnell montieren. Der verstärkte Schaft der 5 bzw. 8 mm Durchmesser aufweisenden Knapp-Schrauben gab den jeweils optimalen Sitz und Abstand vor, sodass die Schrauben mit Hilfe eines Tiefenanschlags perfekt positioniert werden konnten. Vor der Endmontage wurden die aus federndem Edelstahldraht bestehenden Sperrbügel der Verbinder in die vorgesehene Öffnung eingeklipst und damit die Verbindung gegen die Einschubrichtung gesichert.

Mittlerweile sind die Arbeiten am Holzskelett beendet. Die Elektro- und Sanitärinstallationen sind ebenfalls fast schon vollendet. Anfang 2013 wollen dann die engagierten Gläubigen die ersten Gottesdienste in ihrer neuen Gebetsstätte feiern. Derzeit werden die Wände des Bestandsgebäudes restauriert und die weiteren Ausbauarbeiten vorangetrieben, wobei historische Struktur und modernes Innenleben durch die sichtbare Holzskelett-Tragstruktur zu einem ausgewogenen Gesamtpaket verbunden werden, das wohl so manchen Neubau in den Schatten stellen wird.

Autor: Christine Ryll

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