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Neue Holzhäuser vor Anker

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Neue Holzhäuser vor Anker

Was vor Jahren noch als Boot durchging, ist heute ein Haus und muss wie eines genehmigt und geplant werden. Die Rede ist von den neuen schwimmenden Holzhäusern auf Rügen. Der Bauherr wollte sie als Bausatz am maritimen Bestimmungsort selber montieren. Die Planer fanden das ideale Verbindungssystem dafür.

Häuser haben ein Fundament und stehen auf dem Land. Boote haben einen Rumpf und schwimmen auf dem Wasser. Wozu braucht man dann noch Häuser auf schwimmenden Fundamenten? Die alternative Wohnform auf dem Wasser suggeriert wie keine andere dem Bewohner das Gefühl von Individualität, Freiheit und Nonkonformität. Dieses Lebensgefühl war ursprünglich der Antrieb für den Bau der ersten Siedlungen auf dem Wasser. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts etwa lagen in der Bucht von San Francisco die ersten schwimmenden Häuser vor Anker. Bewohnt haben sie Schriftsteller und Künstler. Dieses Lebensgefühl kann man auf Rügen – zumindest für den Urlaub – seit über einem Jahrzehnt mieten: Hier liegt im Yachthafen Putbus-Lauterbach mitten im Biosphärenreservat die Wasserferienwelt „Im Jaich“. Bis 2009 bestand sie aus zwölf schwimmenden Häusern, inzwischen kamen zehn neue dazu. Sie gingen nach und nach von Oktober 2009 bis Oktober 2010 vom Stapel.

Vom Boot zum Haus: Im Vergleich hoher Planungsaufwand
Die erste Generation der schwimmenden Ferienhäuser entstand zwischen 1998 und 2000 (siehe auch mikado 1-2/2003). „Damals galten sie juristisch als Boote, weil die Behörden nicht wussten, wie man sie einordnen sollte. Sie waren daher auch nicht genehmigungspflichtig im Sinne der Landesbauordnung“, erinnert sich Bau- und Hausherr Till Jaich. Bis zum Bauantrag der zweiten Generation hatte sich die Gesetzeslage jedoch geändert. Jetzt wurden sie bauordnungsrechtlich als Häuser eingestuft, was den Planungsaufwand im Vergleich zu den „Hausbooten“ erheblich erhöhte. Alleine das Raumordnungsverfahren und die Umweltverträglichkeitsprüfung haben reihenweise Aktenordner gefüllt. So wurde etwa in einem speziellen Monitoring-Verfahren ein Jahr lang das Verhalten der heimischen Brut- und Rastvögel kartiert. Weitere 30 Träger öffentlicher Belange wie das Bergbauamt mussten durch Gutachten und Expertisen überzeugt werden. Insgesamt hat der Marathon einschließlich der wasserrechtlichen Genehmigung rund viereinhalb Jahre gedauert. „Dass wir das durchgehalten haben, war nur unserem Enthusiasmus für das Projekt zu verdanken“, sagt Jaich rückblickend.

EnEV, Bausatz und Montage vor Ort auf einen Nenner gebracht
Architekt Axel Drebing, der seit Jahren für die Jaichs baut, nahm sich der Planung der zehn schwimmenden Häuser in konventioneller Holzrahmenbauweise an. „Sie sollten den Bestand ergänzen und damit auch dessen Typologie in Form einfacher Wochenend- oder Ferienhäuschen mit Hüttencharakter aufgreifen, ohne architektonischen Gestaltungszwang und visionäre Analogien zu Wasser und Yachten“, erklärt Drebing den Entwurfsgedanken. Ziel war außerdem, die Häuser als Rohbausatz so vorzufertigen, dass Jaich sie in seiner Konstruktionshalle direkt am Hafen selber zusammen- bzw. ausbauen kann. Dafür sollten möglichst effektive und unkomplizierte Verbindungsmittel eingesetzt werden, die auch ohne Montageroutine ein einfaches und präzises Fügen der Elemente ermöglichen. Natürlich hatte Drebing zudem die Energieeinsparverordnung (EnEV) 2009 zu erfüllen, was einen entsprechenden Schichtenaufbau sowie eine detaillierte Planung der Holzrahmenbau-Elemente erforderte. Besonderes Augenmerk verlangte hier der Einbau von Steckdosen und Elektroleitungen. Und zu guter Letzt durften die Häuser nicht breiter, länger oder höher sein als der Portalkran, der sie zum Schluss als Ganzes samt Schwimmponton anhebt und ins Wasser hievt. Aus diesen Vorgaben entwickelte der Architekt auf einer Grundfläche von 5 x 10 m zwei Haustypen: Ein kleines eingeschossiges Schwimmhaus mit knapp 46 m² und ein großes zweigeschossiges mit 72 m². Die Grundrisse der neuen ähneln denen der alten. Sie wurden lediglich optimiert und den veränderten Bedürfnissen der Nutzer angepasst.

Diffusionsoffene Wände für Niedrigenergiestandard
Für ein angenehmes Raumklima und den Niedrigenergiestandard nach EnEV wählten die Planer einen dampfdiffusionsoffenen Wandaufbau. Dazu sahen sie eine raumseitig Beplankung der Holzrahmen mit speziellen Fermacell-Platten vor, die gleichzeitig als Dampfbremse fungiert, und auf der Außenseite DWD-Platten (mitteldichte diffusionsoffene Holzweichfaserplatte). Als Füllung der 16 cm dicken Wandelemente wählten sie eine Zellulosedämmung mit hoher Dichte (U-Wert der Außenwände: 0,22 W/(m²K)).

Elemente mit speziellen Wandanschlüssen für schnelles Einhängen
Mit der Fertigung des Bausatzes der neuen Schwimmhäuser-Generation hat Jaich das Unternehmen Hoko Fertighaus GmbH Ueckermünde beauftragt. Um die Elemente bei der Montage komfortabel, sicher und passgenau aneinander anzuschließen, hat das erfahrene Holzbauunternehmen den Wandverbinder Walco V von Knapp vorgeschlagen. Er besteht aus einer Stahlplatte mit V-Ausschnitt und einer Kragenschraube. Das Montageprinzip erschließt sich sofort: Die Schraube auf der einen Wandseite fädelt über den V-förmigen Aufnahmetrichter der Stahlplatte auf der anderen Wandseite in die endgültige Position ein und verbindet die Elemente kraftschlüssig. Der Anschluss ist in alle Richtungen und auf Zug belastbar. Auf die Rahmenstiele aufgeschraubt oder in sie eingelassen, können die Wandelemente einfach und schnell eingehängt werden. Gerade am Meer spielt auch der Korrosionsschutz von Stahlteilen eine entscheidende Rolle. Rundum feuerverzinkt erfüllte das vorgeschlagene Verbindungssystem diese Anforderung. Dass es zudem Montagetoleranzen verkraftet und sich die Wandelemente nach dem Einhängen automatisch justieren, was ohne Zusatzaufwand zu passgenauen Anschlüssen führt, überzeugte Jaich und Drebing.

Millimetergenaue Montage in der yachthafeneigenen Halle
Die Montage der Häuser erfolgte komplett in der Yachthafen-Halle. Das erste Haus hat Hoko dort exemplarisch errichtet und Jaich dabei erklärt, worauf er und seine Mitarbeiter achten müssen. Mit Hilfe von Werkplänen und der Montageanleitung konnte er nun die restlichen Häuser wie geplant selbst zusammenbauen.
Ein Mobilkran versetzte die Wand-Elemente des Erdgeschosses auf den betonummantelten Pontons aus Kunststoff. Zug- und druckfest an ihm verankert, mussten die Wandanschlüsse an das „Ponton-Fundament“ so bemessen sein, dass sie den Wechselbeanspruchungen des Wellengangs im Yachthafen standhalten. Mit Hilfe einer Richtschwelle wurde das erste Wandelement exakt positioniert. Alle weiteren mussten nur noch eingehängt werden, ihre exakte Ausrichtung ergibt sich durch die Verbinder dann automatisch.
Auch die Deckenbalken wurden mit speziellen Einhängeverbindern von Knapp zwischen die Wände gehängt. Hier kam der Haupt-Nebenträger-Verbinder Ricon zum Zug. Sein Vorteil: er kann direkt auf die Beplankung der Wandrähme aufgeschraubt werden und benötigt keine Taschenausfräsungen.

Einschiebeprinzip der Verbinder spart Zeit und erleichtert die Arbeit
Insgesamt sorgte das Einschiebeprinzip der Knapp-Verbinder für die erforderliche hohe Maßgenauigkeit der Holzkonstruktion, da sie kein Spiel innerhalb der Verbindung zulassen. Das machte sich auch beim Innenausbau bezahlt: Die Duschwände passten exakt und der Fliesenplan ging auf. Es vereinfachte die Arbeiten außerdem so, dass sich die Montagezeit eines Schwimmhauses von fünf auf drei Tage reduzierte. Die damit verbundene Kostenminimierung stellt einen grundsätzlichen Wirtschaftlichkeitsfaktor dar und ist häufig maßgebend bei der Entscheidung für die Knapp-Verbinder.

Die neuen Schwimmhäuser sind heiß begehrt
„Insgesamt erwachsener geworden“ sei die zweite Generation der Häuser, resümiert Till Jaich. Etwas geräumiger, dazu besser wärmegedämmt, und der Boden besteht aus Eiche. Und nicht zuletzt sei die maritime Welt „Im Jaich“ ab dem Frühjahr 2011 CO2-freie Zone. Eine Solartherme in Verbindung mit einem rapsölbefeuerten Blockheizkraftwerk versorgt dann die Häuser an dem 150 m langen Steg. „Mittlerweile sind die Schwimmhäuser von Rügen auch weit über die Landesgrenze hinaus begehrt“, freut sich der Wahl-Rügener. Große Glasfronten holen die Wasserwelt ins Wohnzimmer. Innen sind sie behaglich eingerichtet und vermitteln ein nordisch-skandinavisches Ambiente. Auch die verschiedenen Pastelltöne, in denen die Häuser mit witterungsbeständigen Spezialfarben gestrichen sind, erinnern an Skandinavien.
Die schwimmenden Holzhäuser werden oft schon zwei Jahre im Voraus gebucht. Sie können das ganze Jahr über gemietet werden und sind daher mit Heizungen ausgestattet. Ob mit künstlerischen Ambitionen wie damals die Hausbewohner in der Bucht von San Francisco oder einfach nur zum Entspannen, die pittoresken Holzhäuser laden dazu ein, sich dem plätschernden Treiben auf dem Meer hinzugeben: angeln, direkt vom Bett in die erfrischende See springen oder einfach im Liegestuhl Fünfe gerade sein lassen. Diesem Lebensgefühl kann man „Im Jaich“ ungeniert nachgehen.

Artikel von: Dipl.-Ing. (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe

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