Der Auftakt zur Campusentwicklung Philosophikum der Justus-Liebig-Universität in Gießen ist gemacht: Die pbr Planungsbüro Rohling AG stellte im April 2016 das erste Seminargebäude für den geplanten Campus fertig und legt damit den ersten wichtigen Meilenstein für die Entwicklung des geistes- und kulturwissenschaftlichen Campus der Zukunft, wie ihn der Präsident der Justus-Liebig-Universität Prof. Dr. Joybrato Mukherjee nennt. pbr erbrachte neben der Architektur, der aufgrund der Tatsache, dass es das erste Gebäude auf dem Campus ist, eine besondere Schlüsselstellung zukommt, auch die Planung der Technischen Ausrüstung. Das neue Seminargebäude wurde im Rahmen des von Bund und Ländern gemeinsam finanzierten Hochschulpakt 2020-Investitionsprogramms realisiert. Bauherr ist das Land Hessen, vertreten durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst und den Landesbetrieb Bau und Immobilien Hessen, Niederlassung Mitte. Die Bausumme beträgt rund 8,7 Mio. €.
Zusammen wachsen
Als „Heimat“ von rund 10.000 Studierenden und einer Vielzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern prägt das Philosophikum nicht nur den Charakter der Universität, sondern auch der Stadt Gießen. Innerhalb des Masterplans zur Umgestaltung des Philosophikums werden neben dem Neubau des Seminargebäudes in den nächsten Jahren noch weitere Baumaßnahmen umgesetzt. So ist beabsichtigt, eine Achse mit fünf neuen Gebäuden zu realisieren und das bestehende Philosophikum zu erneuern. Ziel aller Planungen ist die Entwicklung eines integrierten Universitätscampus neuen Typus, der sich im laufenden Betrieb und unter Nutzung der bestehenden Qualitäten umsetzen lässt und weit über Gießen hinaus als vorbildlicher Hochschulstandort Beachtung findet.
Beton unaufgeregt, warm und vielseitig
Das neue Seminargebäude ist am Alten Steinbacher Weg 44 in unmittelbar füßläufigem Bereich zur „Neuen Mitte“ entstanden. Neben der Umsetzung des gewünschten Raum- und Funktionsprogramms ist es den Architekten von pbr gelungen, die Vorgaben des Masterplans aufzunehmen und optimal umzusetzen. So präsentiert sich das neue Lehrgebäude als klares Rechteckvolumen mit einem extensiv begrünten Flachdach. Großformatige, hell gefärbte Betonfertigteilplatten, einbrennlackiertes Aluminium und Glas bestimmen die äußere Erscheinung. Um der Fassade einen individuellen Charakter zu verleihen, wurden die Betonfertigteilplatten über eine horizontale Teilung im Geschossdeckenverlauf gegliedert. In dieser Form erscheint der häufig kühl wirkende Werkstoff Beton als glatte und warme Oberfläche. Auf den Betrachter wirkt er großformatig im Gefache und fein gegliedert im Detail zugleich.
Um das Lehrgebäude in Richtung des zukünftigen Campusplatzes zu öffnen, wählten die Architekten von pbr eine großflächige, leicht eingeschobene Glasfassade. Sie reicht über drei Geschosse und lässt
nicht nur vielfältige Ein- und Ausblicke zu, sondern schafft auch ein Gegenspiel zum Werkstoff Beton. Gleichzeitig kennzeichnet sie den Eingangsbereich. Die Nord-West-Fassade im Bereich der Seminarräume wurde durch große, gleichmäßig angeordnete Lochfenster strukturiert. Durch eine im Beton ausgebildete, dreiseitig umlaufende Fasche erfährt sie eine zusätzliche feine Gliederung.
Einzelne Fassadenelemente formen ein großes Ganzes
Um dem Wunsch des Bauherrn nach einem nachhaltigen Gebäude und einer individuellen äußeren Erscheinung sowie der Vorgaben des Masterplans nach einer mineralischen Fassade Rechnung zu tragen, entschieden sich die Architekten von pbr für eine Betonfertigteilfassade. Die Montage der großformatigen, vorgehängten Betonplatten erfolgte am Ortbetonrohbau. Durch spezielle Ankersysteme, die bereits im Fertigteilwerk einbetoniert waren, wurde die Tragfähigkeit gesichert. Voraussetzung für diese Fassadenkonstruktion war die Berücksichtigung aller auftretenden Lasten von der Planungsphase bis in die Konstruktionsphase. Noch vor Ort wurde das Tragwerk durch einen Statiker immer wieder überprüft. Um trotz der Rohbautoleranzen ein gleichbleibendes und möglichst sauberes Fugenbild zu erzielen, war es notwendig, die Fertigteilplatten vor Anbringung genau auszurichten, was durch die Größe und das enorme Gewicht der 12 cm starken Platten eine große Herausforderung darstellte. Zusätzliche Ausleger am Gerüst waren notwendig, um den Mitarbeitern der Baufirma eine ausreichende Nähe zum Rohbau zu verschaffen, allerdings genügend Platz zum Ausjustieren der Platten zu bieten. Kein einfaches Unterfangen, da die Dämmschicht 22 cm betragen musste, um den Zielwert des Hessischen Modells Energieeffizientes Landesgebäude zu erreichen. Weiterhin mussten 4 cm als Luftschicht und für Rohbautoleranzen einkalkuliert werden. Etwa 5 bis 7 Betonplatten konnten auf diese Weise pro Tag an den Rohbau angebracht werden.
Klare Strukturen
Über den verglasten Haupteingang betreten Besucher das Lehrgebäude und gelangen durch den Windfang in das Foyer. Dieses ist in Teilbereichen zweigeschossig ausgebildet und über eine Galerie räumlich mit dem Foyer verbunden. Auf diese Weise bietet es größtmögliche Offenheit und Transparenz, so dass ein guter Kommunikationsfluss unter den Studierenden und Mitarbeitern gewährleistet wird. Dabei zeichnet sich der Neubau durch eine sehr klare dreigeteilte Struktur aus. Eine leichte Orientierung ermöglicht der an das Foyer angeschlossene zentrale Flurbereich. Er gliedert den 1.420 m 2 großen Neubau in die Seminarraumspange im Westen und die Erschließungs- und Nebenraumspange im Osten. Neben zwei Vortragsräumen im Erdgeschoss, in dem 100 Personen Platz finden, befinden sich acht weitere Seminarräume für 60 Personen in den restlichen drei Geschossen. Die Haupterschließung erfolgt über eine einläufige Treppe. Von dieser aus bietet sich Studierenden und Mitarbeitern über die raumhohe Verglasung der Süd-Ost-Ecke des Gebäudes stets der Ausblick auf den sich entwickelnden Campus.
Bundesland: Hessen
Land: Deutschland
Bauzeit: 10/2014 – 04/2016