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Unerwünschte Spracheffekte im Open Space

Neue Akustik-Norm für Großraumbüros
Unerwünschte Spracheffekte im Open Space

Unerwünschte Spracheffekte im Open Space
Frank Zickmantel, Entwicklungsleiter bei Silence Solutions in Köln. | Bild: privat
Eine neue DIN-Norm greift die problematische Akustiksituation in Großraumbüros auf. Wir sprachen mit Frank Zickmantel, Entwicklungsleiter bei Silence Solutions in Köln, über irrelevante Spracheffekte, Ablenkungsabstände und die Konsequenzen für die Akustikplanung.

Mensch&Büro: Bislang zielten akustische Maßnahmen in Großraumbüros vor allem auf eine Absenkung der Nachhallzeit und damit des Grundgeräuschpegels. Die seit Mai in Kraft getretene neue Norm DIN EN ISO 3382-3 rückt erstmals den sogenannten irrelevanten Spracheffekts in den Mittelpunkt. Was genau versteht man darunter?

Zickmantel: Die Absenkung der Nachhallzeit und des Grundgeräuschpegels bleibt weiterhin ein wichtiger Bestandteil bei der akustischen Konditionierung von Büroräumen. Die Verringerung von Lärm verhindert den bekannten Lombardeffekt. Speziell für offene Bürolandschaften wurde jedoch festgestellt, dass akustisch gut konditionierte Räume einen weiteren Effekt hervorrufen, der sich ungünstig auf die Arbeitsleistung der Mitarbeiter auswirkt. Der sog. irrelevante Spracheffekt tritt genau dann auf, wenn der Büroraum einen geringen Geräuschpegel, eine niedrige Nachhallzeit und ein geringes Sprachaufkommen aufweist. In solch einer akustischen Umgebung steigt die Sprachverständlichkeit im Raum an. Vor allem unsinnige Sprachinformationen benachbarter Mitarbeiter werden über große Entfernungen im Raum transportiert. Da das menschliche Gehirn instinktiv versucht, alle aus der Umgebung kommenden Sprachinformationen zu entschlüsseln, führt dies in Folge zu mangelnder Konzentration und einer Absenkung der Arbeitsgedächtnisleistung. Uneffektives Arbeiten kostet nicht nur viel Geld, sondern macht auch die Mitarbeiter krank, da sie unter Zeitdruck geraten. Nach einer Konzentrationsstörung vergeht bei komplexen Tätigkeiten zudem sehr viel Zeit bis der Mensch sich wieder vollständig eingearbeitet hat.
Mensch&Büro: Ein wichtiger Aspekt der neuen Norm ist die Messung der Ablenkungs- und Vertraulichkeitsabstände auf der Bürofläche. Was hat es damit auf sich?
Zickmantel: Die neue Norm bewertet die tatsächlich vorhandene Bürosituation. Alle Messungen werden bei voller Büroausstattung, jedoch ohne Personen durchgeführt. Als Schallquellengeräusch wird ein breitbandiges Rauschen verwendet, das auf die typische Lautstärke und das Frequenzband der Sprache des Menschen umgerechnet wird. Entlang eines Messpfades werden nun, in definierten Abständen zwischen 2 bis 16 Metern Entfernung zur Schallquelle jeweils der Schalldruckpegel und, das ist neu, der Sprachverständlichkeitsindex (STI) bestimmt. Der STI wird auf einer Skala von 0 bis 1 angegeben, wobei der Wert 0 bedeutet, dass Sprache überhaupt nicht zu verstehen ist und der Wert 1 für maximale Sprachverständlichkeit steht. Wenn die Sprachverständlichkeit auf unter 50 Prozent sinkt, dann ist sie zwar noch verständlich, aber man wird nicht mehr sehr stark von Gesprächen der Mitarbeiter abgelenkt. Die Norm sieht daher die Angabe eines Ablenkungsabstandes vor, der anhand des Messpfades ermittelt werden kann. Ab einer bestimmten Entfernung von der Schallquelle fällt der Wert des STI unter 0,5. Diese Entfernung ist der Ablenkungsabstand. Je kleiner der Ablenkungsabstand, desto konzentrierter können Mitarbeiter im Büro arbeiten. Die Norm gibt als Zielwert einen Ablenkungsabstand von max. 5 Metern vor. Um völlig ablenkungsfrei arbeiten zu können muss der Sprachverständlichkeitsindex übrigens auf unter 0,2 fallen, das ist dann der Vertraulichkeitsabstand. Da auch gut konditionierte Büroräume einen solchen Wert kaum erreichen, ist dieser Wert als eher informativ anzusehen.
Mensch&Büro: Welche Faktoren fließen bei der neuen Norm noch in die Bewertung der akustischen Raumsituation mit ein?
Zickmantel: Neben dem Ablenkungsabstand werden noch zwei weitere Parameter untersucht. Es wird die räumliche Abklingrate, also die ermittelte Schallpegelminderung im Abstand zur Sprachquelle als Durchschnittswert, ermittelt. In Umgebungen ohne Reflexionen, also z.B. in der Wüste, beträgt diese 6 dB. Da in Büroräumen auch bei guter akustischer Konditionierung immer Reflexionen auftreten, werden zumeist nur 3 bis 4 dB erreicht. DIN EN ISO 3382-3 gibt aber als Zielwert mindestens 7 dB vor. Demnach nützt es nichts, alle Wände, die Decke und den Fußboden mit Hochleistungsschallabsorbern zu tapezieren, da so nur 6 dB erreichbar sind und die Kosten für die akustische Konditionierung explodieren. Schallschirmende Maßnahmen zwischen den Arbeitsplätzen sind damit Gesetz. Der letzte der drei zu untersuchenden Parameter ist der A-bewertete Schalldruckpegel in einer Entfernung von 4 Metern von der Schallquelle. Da bei der Messung ein hinsichtlich Sprachlautstärke und Sprachspektrum analoges Rauschen verwendet wird, kann die Umgebungslautstärke um die Sprachquelle bestimmt werden. Hier sieht die Norm einen Sollwert von maximal 48 dB(A) vor. Alle drei objektiven Zielkriterien spiegeln laut Norm das subjektive Empfinden des Menschen wider. Zusammengefasst soll also eine räumliche Abklingrate (D2,S) von mehr als 7 dB, ein Schallpegel in 4 Metern Abstand zur Sprachquelle (Lp4m) von maximal 48 dB(A) und ein Ablenkungsabstand (rD) von weniger als 5 Metern erreicht werden. Die Norm verweist auf insgesamt 21 beispielhaft vermessene Großraumbüros. Das Ergebnis ist logisch, aber dennoch ernüchternd. So heißt es in der Norm wörtlich: „Die meisten Großraumbüros hatten schlechte oder unzureichende akustische Bedingungen. Typische Einzahl-Werte in Büros mit schlechten akustischen Bedingungen waren D2,S < 5 dB, Lp4m > 50 dB(A) und rD > 10 m. Großraumbüros mit guten akustischen Bedingungen sind selten…“
Mensch&Büro: Welche konkreten Umsetzungen von Silence Solutions unterstützen heute schon die raumakustischen Anforderungen für Großraumbüros, wie sie in der aktuellen Norm festgelegt sind?
Zickmantel: Die Problematik des irrelevanten Spracheffektes ist schon seit einigen Jahren bekannt. Wir haben daher unsere Raumakustiksysteme auch stets aus unseren Erfahrungen heraus weiterentwickelt und verbessert. Mit der hauseigenen Akustikabteilung führen wir regelmäßig akustische Messungen bei unseren Kunden durch. Dabei nehmen wir auch die subjektiven Eindrücke der Mitarbeiter im Großraum auf. Zunächst haben wir uns mit der Zusammensetzung und der Wahrnehmung von menschlicher Sprache befasst. Diese wird besonders laut im Frequenzbereich zwischen 200 bis 600 Hz empfunden. Ein eigens entwickeltes und patentiertes Mehrschichtsystem das sog. Ruhemodul Office zielt bei einer gleichzeitig schlanken Modulbauweise auf diesen Frequenzbereich ab. In Kombination mit raumhohen Glaswänden wird eine effiziente Direktschallabschirmung erreicht. Da es sich bei den Flächen nach wie vor um durchgehende Räume handelt, müssen die als Glas-Akustik-Schallschirme bezeichneten Systeme fachmännisch in einer Art Labyrinthanordnung eingeplant werden. Damit wird erreicht, dass der Schall einen weiten Weg zum gegenüberliegenden Arbeitsplatz zurücklegen muss und oft an den Schallabsorbern vorbeiläuft. Selbstverständlich haben wir unsere Glas-Akustik-Schallschirme auf die drei Messparameter hin untersucht. Je nach Anzahl der auf der Fläche installierten Schallschirme erreichen wir bereits räumliche Abklingraten zwischen 8 und 15 dB und Schallpegel im Abstand von 4 Metern zwischen 35 dB(A) und 45 dB(A). Außerdem sind mit unserem System Ablenkungsabstände von unter 2 Metern möglich und sogar Vertraulichkeitsabstände von unter 7 Metern realisierbar.
Zur Person: Frank Zickmantel arbeitete fünf Jahre als Akustik-Ingenieur am Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Stuttgart in den Gruppen Signaltechnik und Raumakustik. Nach einer Station als Akustik-Ingenieur bei Renz Systeme in Aidlingen übernahm er 2007 die Leitung der Entwicklung beim Akustikspezialisten Silence Solutions in Köln. Das Unternehmen wird im Oktober zum zweiten Mal auf der Orgatec ausstellen.
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