Haptik im innenarchitektonischen Kontext
Sie manipulieren, bilden Stimmungsräume, täuschen, stimulieren, umschmeicheln und sind auf den ersten Blick nicht begreifbar – Materialoberflächen und ihre haptischen Eigenschaften. Eine md-Fachveranstaltung in der Kölner Design Post.
Der Tastsinn ist der erste unserer fünf Sinne ist, der im Mutterleib ausgebildet wird. Um die taktile Wahrnehmung unserer Umwelt ging es bei der md-Fachveranstaltung Haptik in der Kölner Design Post.
Das Thema Haptik im innenarchitektonischen Kontext ist ein verhältnismäßig junges. “In den vergangenen zehn Jahren gab es bei Materialoberflächen unwahrscheinlich viel Neues, und es wird weiter geforscht, experimentiert und zweckentfremdet”, bestätigte eingangs Hannes Bäuerle, Geschäftsführer der raumprobe Stuttgart. Dort findet ein Streichelzoo für Architekten großen Anklang.
“Architekten sind Materialfreaks! Sie müssen immer alles anfassen und begreifen”, stellte später Sylvia Leydecker in ihrem Vortrag fest. Die Innenarchitektin, Autorin und Vizepräsidentin des BDIA konstatierte zudem, dass das Triumvirat aus Innenarchitekten, Industrie und Forschung voneinander abhängig sei. Forschung und Industrie müssen eng zusammen arbeiten, um die Material- und Innovationswünsche der Architekten zu befriedigen. Kurzweilig war Leydeckers umfangreicher Überblick über Oberflächen, deren Einsatzorte und die Stimmungen, welche sie hervorrufen. Sie erinnerte daran, dass der Mensch durch haptische Erlebnisse manipuliert wird. “Die Zukunft liegt bei ‚Corporate Haptics‘ und dem ‚Digital Touch‘ – der nachhaltig ganze Raumszenarien verändert. Glatte, sterile Oberflächen mit futuristischer Anmutung sind das Ergebnis. Sie sind mit Schuld daran, dass unsere haptischen Wahrnehmungsfähigkeiten degenerieren. Kein Wunder also, dass es zugleich den Gegentrend zu rauen, authentischen Oberflächen gibt”, erläuterte sie weiter.
Dass sich Aussehen und Haptik einer Oberfläche mit der Zeit verändern, ist ein weiterer Aspekt. Besonders bei neu entwickelten Materialien weiß man oft noch nicht, wie sich das äußert. So sei eine gewisse Experimentierfreude seitens des Bauherrn von Nöten, wenn man andere Pfade betreten möchte, merkte der Stuttgarter Architekt Alexander Brenner an. Er gab einen beispielhaften Überblick zum Thema anhand einer Villa in Stuttgart. Ungläubig bis schmunzelnd nahm das interessierte Publikum die zum Teil recht ungewöhnlichen Materialkombinationen zur Kenntnis: Bambusstrukturen in Betonmauern, glasfaserdurchwirkte, leuchtende Betontreppenstufen, ein geschwungener Duschvorhang, die Holzeckbank in der Kupfer-Küche, der orangefarbene 1970er-Jahre Retroschick in der Sauna. Und weiter: Fassaden aus schwarzem Kunstrasen, aluminiumgeschäumte Fassadenelemente und vom Bunsenbrenner angesengte Eichenplanken. Schon längst sei nicht mehr offensichtlich, welche Funktion und Nutzung sich hinter wie auch immer gearteten Oberflächen versteckt – das sei die Benutzeroberfläche 2.0., bestätigte Brenner.
Ein technischer Ausflug von Theodor Lange in die Materialität von Teppichen, ihre Herstellungsweise und verschiedenartigen Oberflächen, rundete die Veranstaltung ab. Er erinnerte daran, dass ein Teppich nicht nur ein gestalterisches Element sei, sondern viel zur Raumakustik, Wärmedämmung, Klimaregulierung und Staubfang beiträgt. Die vielseitige haptische Erfahrung begründet sich auf den unterschiedlichen Eigenschaften der Rohstoffe, wie Seide, Baumwolle, Kunstfasern und Wolle sowie deren Verarbeitung.
Fazit des Abends: Die Entwicklung geht “von der Höhle in die Folie”, O-Ton Sylvia Leydecker. Die digitale Moderne beeinflusst demnach auch unsere haptischen Eindrücke. Gerade deswegen sehnt sich der Mensch nach Materialehrlichkeit – quasi als Rückbesinnung auf unsere Herkunft. Zudem werden Materialien zweckentfremdet und überraschen an völlig unerwarteten Orten. Es bleibt also spannend. Das machte die md-Fachveranstaltung – im Wortsinne – begreiflich.
Veranstalter:
md und raumprobe
Partner:
Design Post